Interview: Thomas Zschornak, Bürgermeister. Nebelschütz /// https://nebelschuetz.de/
Autorin: Anne
Wichtigste Werte: Verantwortung, Selbstständigkeit, enkeltaugliche Nachhaltigkeit
Nebelschütz zählt rund 1200 Einwohner. Wahrscheinlich kommt auf jeden dieser Menschen ein Pressebericht über das Dorf der Zukunft. Auch wir sind neugierig geworden und wollen herausfinden, was genau Nebelschütz auch über die Landesgrenzen hinaus strahlen lässt. Als wir im Dorfkern, dem Gemeindehaus, ankommen, zieht es uns als erstes in den kleinen Hofladen. Wir kommen ins Gespräch mit der Besitzerin, die vor einigen Jahren aus Leipzig wieder zurück nach Nebelschütz zog. Ein Permakulturprojekt war auschlaggebend für ihren Umzug in die Heimat.
Wir werden freundlich von der Sekretärin begrüßt, einer jungen Sorbin. Thomas Zschornak erwartet uns schon. Sein Büro ist gemütlich, aufgeräumt, moderne Kunst und Skulpturen von diversen Wettbewerben im Dorf stehen neben einer antiken Sitzgruppe. Das erste, was mir auffällt, ist die Zufriedenheit, Herzlichkeit und Freude, die ihm auch nach 30 Jahren als ehrenamtlicher Bürgermeister und unzähligen Interviews nicht abhandengekommen ist.
Thomas Zschornak ist mit 26 Bürgermeister geworden und seine Augen strahlen nach wie vor, wenn er von seiner Gemeinde und den Menschen spricht.
"Die Menschen müssen wieder ermächtigt werden, Einfluss zu haben und diesen auch aktiv zu nutzen. Die Unzufriedenheit hängt oft damit zusammen, dass die Verantwortlichkeiten von den Menschen und den Gemeinden durch Eingemeindung genommen wurden und kaum ein aktives Mitgestalten und Entscheiden möglich macht. Die kleinen Kommunen werden erst seit kurzem wieder mehr gefördert.", erzählt er uns.
"Der schönste Moment ist, wenn ein Projekt nach zehn Jahren umgesetzt wird, in das man viel Arbeit gesteckt hat. Auch wenn man damals noch als Idealist abgestempelt wurde, hat sich die viele Arbeit und Energie ausgezahlt.", erzählt Thomas Zschornak, der sein Amt ehrenamtlich ausführt. Bürgermeister ist er trotzdem 24 Stunden und sieht das als seine Berufung. Obwohl es viel Kraft zieht und auch einiges von seiner Familie abverlangt, macht ihm die Arbeit Spaß und gibt ihm viel Zufriedenheit.
Menschen, die nach Nebelschütz ziehen wollen, müssen warten. Es gibt eine offizielle Warteliste, die Gemeinde will nicht um jeden Preis wachsen, sondern sich nachhaltig entwickeln. Jeder, der nach Nebelschütz kommt, sollte auch bereit sein, sich zu engagieren und Aufgaben zu übernehmen. "Ein Ort muss von innen nach außen wachsen und lebt nicht davon, einzelne Neubau-Inseln zu schaffen. Die Bausubstanz und die Gärten, die bestehen, greifen wir auf und fördern die Idee der Selbstversorgung und Gemeinschaft."
Foto: taz
Die Umwelt war nach der Wiedervereiningung auch in Nebelschütz stark geschädigt. Von Anfang an war Thomas Zschornak in einer Initiative engagiert, die aktiv gegen die regionale Umweltverschmutzung wirkte und immer noch wirkt: Ein Permagarten, viele naturbelassene Wiesen, Selbstversorger-Projekte der Einwohner:innen, ein Ökokonto, der Hof- bzw. Unverpacktladen oder die Versorgung durch alternative Energiequellen.
"Wir haben viel auf politischer Ebene gekämpft und nicht alles einfach hingenommen. Das hat uns stark gemacht und uns Einflussnahme ermöglicht."
Als er nach Nebelschütz zog, gab es keine Vision und Solidarität, das Dorf hatte kein gemeinschaftliches System. Um ein lebendiges Dorf zu formen, gab es verschiedene Ansätze: Beratung von anderen, innovativen Kommunen, gezieltes Anwerben von Machern aus allen Branchen, Netzwerkarbeit, interessante Projekte, die das Mitwirken und den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft brauchen und stärken. Jeder hat die Möglichkeit, sich einzubringen. Es gibt viele Vereine und Initiativen, der Hofladen ist zentraler Kommunikations- und Austauschpunkt für die Gemeinschaft. "Auch die leiseste Stimme, auch wenn sie laut wird, muss angehört und berücksichtigt werden."
Die Zusammenarbeit und der Interessenaustausch reicht von Nebelschütz über Klein Jasedow bis nach Benin nach Afrika. Der Austausch belebt die kommunalpolitsche und gemeinschaftliche Kultur. Der lokale und internationale Kunstwettbewerb lockt viele besondere Persönlichkeiten, weltweit. Das belebt das Dorf, die Toleranz wächst und lässt die Gemeinde über den Tellerrand hinaus schauen - "Mal schräg denken ist wichtig. Das sind meistens die Vorreiter.", sagt Thomas Zschornak.
"Unser Kindergarten ist voll, viele Familien haben hier mehr als drei Kinder.", erzählt er. In den vier örtlichen Jugendclubs werden internationale Gemeindefeste und organisiert und die Jugendlichen können sich ausprobieren bzw. Eigenverantwortung von Anfang an leben. Vertrauen muss man an alle Generationen weiter geben, um die Gemeinschaft nachhaltig zu entwickeln, so Thomas Zschornak.
Das Wetter passt zum Abschluss des Interviews. Blauer Himmel, kleine, weiße Wolken, die Sonne strahlt. Hier scheint die Welt nicht nur in Ordnung, hier ist sie es auch. Das braucht viel Arbeit, Engagement und stetige, achtsame Entwicklung, aber ist letzendlich möglich. Es ist Thomas Zschornaks letzte Wahlperiode nach 32 Jahren als Bürgermeister. Er ist sich sicher, dass Nebelschütz jemanden hervorbringt, der ebenso für das Dorf lebt. Wir haben auch keine Zweifel.
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