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ahoj // Görlitz

Interview: Lisa Wiedemuth & Lorenz Kallenbach // Anlaufstelle für Treffen, Austausch und gemeinsames Lernen /// www.ahoj.org

Autorin: Anne


Werte: Vertrauen, Lernen, Sinn


Wir sind wieder in Görlitz unterwegs und wie immer erwartet uns in dieser Stadt etwas Besonderes: das Team von ahoj Görlitz. Wir schauen durch das große Schaufenster und stellen fest: "sieht ja aus wie unser Coworking Space in Bautzen!": ein großer Tisch in der Mitte, Kunst, Plakate, Flyer, ein junges Team, ein paar Kaffeetassen, warmes Licht. Wir werden von Lorenz Kallenbach begrüßt. Lisa Wiedemuth, ebenfalls vom ahoj Team und vor zwei Jahren aus Berlin hergezogen, hat viele Fragen an uns - und so kommen wir sehr schnell ins Gespräch über regionalen Wandel, Gründen im ländlichen Raum und die Frage, warum wirksame, gut bezahlte Arbeit, die uns obendrein noch Spaß macht, oftmals noch als Privileg gilt.

Wir wollen wissen, was macht ahoj? "Besonders Freiberufler:innen, Selbstständige und Kulturschaffende in Gründung haben immer noch wenige Anlaufstellen um inhaltlich und konzeptionell Unterstützung zu bekommen, wenn sie nicht gerade einer Kammer zugehörig sind oder in ein Förderprogramm passen. Trotzdem hat sich gerade in Görlitz eine große Kreativszene entwickelt, die sich bereits ´durchgebissen´ hat und ein großes Gründerwissen mit sich trägt" erzählt Lorenz Kallenbach, der ebenfalls Gründer ist. Das Projekt wird von einem Verein getragen und vom Europäischen Sozial-Fond und einer Stiftung gefördert. Es ermöglicht Gründer:innen Stipendien, welche inhaltliche und räumliche Begleitung bereit stellen. "Diese Art von Gründerlaboren finden sich an einigen Orten in Ostdeutschland, bspw. in Altenburg in Thüringen. Sie agieren im Netzwerk der Kulturhanse. Der Fokus ist nicht auf Profit ausgerichtet, sondern orientiert sich am Gemeinwohl.

Die konkrete Interpretation des Gemeinwohlfokus ist offen und flexibel, andere Standorte haben sich beispielsweise Umweltthemen, ein positiveres Stadtklima oder die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit auf die Fahne geschrieben", erzählt Lisa Wiedemuth.



Das Team steckt noch in der Entwicklung und Unsicherheit gehört zur Routine. Das bedeutet nicht immer etwas Negatives. "Man muss sich aufeinander verlassen können und kann nicht blind auf gutes Gelingen vertrauen. Verantwortung und Vertrauen, gegenüber sich selbst und den GründerInnen, sind besonders wichtig" so Lorenz Kallenbach. "Moderierte Prozesshaltestellen lassen uns unsere Arbeit reflektieren, das löst Konflikte bereits im Entstehen. Die verschiedenen Rollen haben nicht nur die Teammitglieder inne, sondern auch externe Organe, das bringt viele Vorteile in der nachhaltigen Entwicklung. Die Rollenverteilung und die anfängliche Unsicherheit haben im Team positive und negative Spuren hinterlassen - ein Mitglied hat sich getrennt. Gelernt haben wir: genügsamer zu sein, wir können den Anderen ihre Wirkungsbereiche lassen und wir wissen, dass wir nicht perfekt sein müssen, da wir uns noch in der Testphase befinden."


Lisa Wiedemuth erklärt: "Das Projekt unterstützt Individuen mit ihren Ideen und ist ergebnisoffen. Wir setzen nicht auf Erfolg im klassischen Profitsinn, sondern darauf, die Menschen zu begleiten, egal, was dabei rauskommt.

Das Tempo ändert sich dabei ständig, mal kommen wir nicht voran, mal sind wir unglaublich schnell. Wir bauen nicht nur auf die eigene Intuition sondern auf die Gruppe. Dabei können wir uns auch trauen zu sagen: ´Ich weiß nicht weiter. Ich bin unsicher. Oder ich vermisse euch hier vor Ort."


Die Struktur ist besonders: das Team besteht aus Selbstständigen, die teilweise auf Honorarbasis oder sozialversicherungspflichtig sind, aus Vereinsorganen, der Stiftung und externen BegleiterInnen und ExpertInnen, die offene Qualifizierungsangebote anbieten. Die das Projekt unterstützende Stiftung hat einen wichtigen Leitsatz: Es den Menschen zu ermöglichen, ein Leben in Würde führen. Das bedeutet nicht nur aus Mitleid für den ländlichen Raum gute Arbeitsplätze, sondern Selbstverwirklichung, gemeinwohlorientiertes Arbeiten und Wirtschaften zu fördern sowie die Fähigkeit, sich dadurch selbst zu finanzieren.



Lisa Wiedemuth und wir sind uns einig: "Gemeinwohlorientiertes Arbeiten muss ein Teil unseres Berufsalltags werden und nicht nur nach der Arbeit möglich sein. Dort bekommen wir zwar eine Medaille für unser Engagement, können uns diese zusätzliche Arbeit aber zeitlich und finanziell kaum leisten."


"Wenn das Gemeinwohl der Auftraggeber wäre, hätten wir alle eine Menge zutun. Dann kann man nicht mehr so tun, als gäbe es keine Arbeit in Ostsachsen. Das motiviert die Leute, unter diesen günstigen Bedingungen hier zu gründen."

Wertschätzung bedeutet für das ahoj Team auch In-Wertsetzung. Das soziokulturelle Engagement in Görlitz, was bereits seit zehn Jahren aus einer Minderheitsperspektive agiert, erfährt immer mehr Aufmerksamkeit, auch dank dieser Projekte.


Ein Prinzip der Arbeit von ahoj sind die vier G: Görlitzer Gemeinwohl gemeinsam gestalten.

"Gründer:innen müssen für das Stipendium in Görlitz wohnen und gründen, ihre Projekte und Produkte müssen zum größten Teil gemeinwohlorientiert sein. Für die Zusammenarbeit reicht es nicht, dass die ´Stipis´ immer mal wieder wie ein Ufo im Laden landen und sich holen, was sie brauchen, sondern mit uns gemeinsam in den Prozess gehen und ihn entwickeln. Ebenso setzen wir auf die Selbstverpflichtung zu kollegialem Austausch. Letztlich auch, seine Ideen vor anderen offen zu legen. Viele Leute haben Angst vor Ideenklau - doch das Geheimhalten der Idee und des Entwicklungsprozesses verhindert das Lernen auf beiden Seiten" erzählt uns Lorenz Kallenbach.


"Wir müssen uns nicht entschuldigen, Ansprüche an unsere Arbeit zu stellen. Die Ansprüche führen dazu, dass es den Menschen besser geht - und diese Ansprüche sind am Ende wichtige Grundbedürfnisse, auf die wir lange genug verzichtet haben" sagt Lisa Wiedemuth zum Ende unseres Interviews.


Wir stehen noch eine Weile vor der Tür und tauschen uns aus. Wir sind dankbar, dass Organisationen wie ahoj steigende Wertschätzung und Wichtigkeit erlangen. Gründer:innen aus Görlitz haben hier einen ehrlichen und gut vernetzten Anlaufpunkt, dessen Konzept dazu beiträgt, dass mehr Menschen eine Arbeit wählen, die zu ihnen passt.



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